Der Radschnellweg durch Offenbach

Der Radschnellweg durch Offenbach

Ein Diskussionsbeitrag von Kai Kotzian

Dieser Artikel wird sehr technisch. Wenn Sie also woanders weiterlesen, kann ich das gut verstehen. Mein Name ist Kai Kotzian, ich bin Mitglied des VCD (Verkehrs Club Deutschland) und Vertrauensperson im Radentscheid Offenbach und befasse mich seit einigen Jahren mit Nahverkehrsthemen und dem Radverkehr.

Ich möchte Ihnen heute erzählen, warum Radschnellwege nicht durch Innenstädte verlaufen können. Wie Fußgänger:innen zu Ihrem Recht kommen und warum das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen mit der AGNH (Arbeitsgemeinschaft Nahmobilität Hessen) hervorragende und auszeichungswürdige Arbeit geleistet hat. Der Bund und das Land Hessen werden in den nächsten Jahren einiges an Fördergeldern für Mobilität und Radverkehr zur Verfügung stellen. Die Absicht des Autors ist es, dass diese Gelder sinnvoll, also zweckmäßig ausgegeben werden und nicht in Prestigeobjekte fließen.

Was könnten die Maßstäbe für zweckmäßig ausgegebene öffentlicher Gelder sein, wenn sie sich auf Radverkehrsmaßnahmen beziehen: Sie sollen Radverkehr sicherer machen, es sollen also weniger Menschen sterben oder schwer verletzt werden. Leider gab es in Offenbach im Jahr 2021 einige tragische Fälle. Sie sollen aber auch Fußgängerinnen und Fußgänger nicht beeinträchtigen.

Sinnvoll ausgegeben sind öffentliche Gelder dann, wenn sie die Reisegeschwindigkeit der Radfahrenden erhöhen, die Kreuzungen reduzieren und an Querung den Fuß- und Radverkehr priorisieren. Zu querende Kreuzungen und das Warten an Ampeln verlangsamt das Radfahren enorm. Ich billige das Überqueren roter Ampel in keinem Falle, aber die Frage, ob eine rote Ampel auch immer sinnvoll ist und die Frage, ob die Ampel nicht auch wegfallen kann, wird viel zu wenig gestellt.

Beim Bau neuer Radwegeanlagen dürfen auch keine falschen Kompromisse gemacht werden. An Einmündungen und Kreuzungen müssen bei der Umgestaltung auch mal zwei Plätze, die jetzt dem parkenden Auto zugedacht sind, umgewidmet werden. Auch die neu eingerichteten Fahrradstraßen sind in dieser Hinsicht noch unzulänglich.

Im November 2020 hat das Hessische Ministerium für Verkehr, in Zusammenarbeit mit der erwähnten AGNH, die zweite Auflage der Qualitätsstandards und Musterlösungen für das Radnetz Hessen veröffentlicht. Es ist ein beachtliches 196-seitiges Werk, das auch für Laien verständlich zu lesen und als PDF verfügbar ist.

Leider ist das PDF nicht durchgängig nummeriert, weshalb ich manchmal von Seite, manchmal von Blatt spreche. In Abschnitt 3 werden die qualitativen Anforderungen an Radschnellverbindungen aufgeführt (Blatt 12-21 bzw. Seite 7-16).

Es ist dringend zu empfehlen, dass sich die Stadt Offenbach und der Magistrat zu 100% an diese Vorgaben halten und keine Gelder für schlechte Kompromisse ausgeben.

Ich bezweifle, dass Radschnellwege in einem Bereich funktionieren können, den ich als erweiterte Innenstadt bezeichne. Diesen Bereich, habe ich in der folgenden Grafik markiert:

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Der Regionalverband schreibt hierzu auf seiner Webseite:

Bereits im „März 2020 haben die Städte Frankfurt am Main, Hanau, Mühlheim am Main und Offenbach am Main, der Kreis Offenbach und der Regionalverband eine Absichtserklärung für die Realisierung einer Radschnellverbindung unterzeichnet.“ (siehe Abschnitt FRM8)

Doch die vom Lenkungskreis der Stadt Offenbach übermittelten Untersuchungskorridore zur Machbarkeitsstudien waren bereits fehlerhaft. (Siehe hier abgebildeter Screenshot aus der Präsentation der Website)

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Verbände wie der VCD wurden unzureichend eingebunden. Ein Fehler bei der Beauftragung der Machbarkeitsstudie war, nicht das gesamte Stadtgebiet einzubeziehen und sich auf die in der Abbildung markierten Korridore zu beziehen, die alle nördlich der Bahnlinie oder an der Bahnlinie befinden.

Der Regionalverband schreibt auf seiner Website hierzu weiter:

„Im Dezember 2020 gab der Regionalverband als ersten Schritt eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Deren Ziel ist es, eine geeignete Trasse zu ermitteln.“ und „Um frühzeitig die Hinweise und das Wissen der Menschen vor Ort abzufragen und in die Erarbeitung der Machbarkeitsstudie zu integrieren, fand von Ende März bis zum 9. Mai 2021 eine Online-Umfrage statt, an der sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger beteiligten haben.“

Genaue Informationen, welche Hinweise der Regionalverband von den Bürgerinnen und Bürgern erhalten hat, sind jedoch nicht bekannt gemacht worden. Schade!

Vermutlich dachte man, dass weniger Baumaßnahmen durchgeführt werden müssen, je kürzer der Weg ist. Und die Annahme, dass der Radschnellweg auch in die Innenstadt führen oder zumindest in Innenstadtnähe vorbeiführen müsse, halte ich für falsch. Eine Autobahn für PKW würde heute auch keiner mehr über die Berliner Straße führen. Wenn man den Qualitätsstand des Hessischen Verkehrsministeriums beachten würde, dann würde man „Raddirektverbindungen“ (RDV, Abb. 3, gelb markiert) planen, die den Radschnellweg (RSV, Abb. 3, grün markiert) mit der Innenstadt verbinden (siehe Abschnitt 3.2., Seite 16-26). Also so:

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Der Magistrat sollte also alle möglichen Bauformen von Radverkehrsanlagen betrachten (Radschnellweg RSV, Raddirektverbindung RDV und Radverbindungen RV) und die unterschiedlichen Nutzungsabsichten bei der Planung beachten. Das wurde bei der Beauftragung der Studie nicht gemacht.

Ich möchte diese Einschätzung begründen, in dem ich aus dem Qualitätsstandard (Seite 4) zitiere: „Radschnellverbindungen (RSV) dienen dem Alltagsverkehr (Pendelnde, Berufs- und Ausbildungsverkehre).“

Radschnellverbindungen werden auch von den Leuten befahren, die von Mühlheim und Obertshausen nach Frankfurt pendeln. Auf Seite 6 heißt es:

„Um eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 20 km/h zu erreichen, sollen Radschnellverbindungen [..] mit hoher Oberflächenqualität sowie mit ausreichenden Breiten, die das Nebeneinanderfahren und Überholen sowie das störungsfreie Begegnen ermöglichen, ausgestattet sein. Die Entwurfsgeschwindigkeit soll bei 30 km/h liegen.“

Wenn man sich die Räder, die in der Innenstadt unterwegs sind, so anschaut, sind hier mittlerweile viele Pedelecs (oder wie der Laie sagt E-Bikes) dabei. Auch viele ältere Menschen haben das E-Bike für sich als bequemes Fortbewegungsmittel entdeckt. Geschwindigkeiten von 15 bis 20 km/h sind also nicht unrealistisch. Doch wünschen wir uns das in der Innenstadt? Ich nicht!

Der Regionalverband hat nun, wie wir in der Offenbach-Post lesen konnten, dem Lenkungskreis des Magistrates das Ergebnis der Machbarkeitsstudie vorgestellt. Die Offenbach Post berichtet davon in ihrer Printausgabe vom 19.11.21 (Seite 5). Es wurde auch eine Grafik gezeigt, die das Problem durch Schraffierungen deutlich macht. Der Regionalverband hat zum Ergebnis der Machbarkeitsstudie nun folgende Mitteilung herausgegeben.

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In der Veröffentlichung zur Machbarkeitsstudie heißt es: „ In Offenbach erstreckt sich die favorisierte Linie über die Frankfurter Straße, Park- und Geleitsstraße. Unter Einbindung der Bleich- und Mathildenstraße führt die Trasse weiter zur B43. Alternativ wird auch noch eine Streckenführung am Bahndamm geprüft.“ Das Ergebnis wurde bisher nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Können Sie sich vorstellen, dass sich täglich über 2.000 Radfahrende durch die Geleitsstraße oder die Bismarckstraße schieben? Wie soll die Kreuzung an der Waldstraße aussehen? Und wie soll ein Bereich, der so viele Fußgänger:innen hat, die zu Geschäften zum Einkauf unterwegs sind, mit Radfahrenden umgehen, die 20 km/h schnell fahren? Mir fehlt da die Fantasie.

Ich möchte aber nicht nur meckern, sondern auch auf nicht beachtete Alternativen verweisen.

Haben wir da nicht noch den Anlagenring (Annastraße, Landgrafenring, Hessenring, Friedrichsring, Isenburgring, Parkstraße)? Der liegt aber nicht im Untersuchungsgebiet (siehe Abb. 2), würde sich aber für einen RSW (Radschnellweg) viel besser eignen. Dieser Vorschlag ist nicht nur meine bescheidene Meinung, sondern begründet sich auf den Qualitätsstandard des Landes Hessen, der sagt:

„An Knotenpunkten sollen Radschnellverbindungen und Raddirektverbindungen vorwiegend bevorrechtigt sein und eine Fahrt mit möglichst geringen Verlustzeiten ermöglichen. Das bedeutet, dass die mittleren Zeitverluste pro Kilometer durch Anhalten und Warten nicht größer als 15 Sekunden (außerorts) und 30 Sekunden (innerorts) sein sollen“, (Seite 6).

Wie soll das an der Kreuzung Hebestraße – Bieberer Straße realisiert werden? Oder an den Kreuzungen in der Geleitsstraße oder Bismarckstraße? Mir fehlt da die Fantasie, aber das sagte ich ja schon. Im Anlagenring halte ich das dagegen größtenteils für möglich.

Weiterhin heißt es im Qualitätsstandard:

„Eine grundlegende Trennung von Rad- und Fußverkehr wird angestrebt“, (Seite 6).

Aber wie soll das in der Geleitsstraße funktionieren? Das ginge nur mit null Spuren für KFZ . Auf Seite 9 stehen die Anforderungen (Abschnitt 3.1.2 – Tabelle 2):

„Getrennte Führung von Rad- und Fußverkehr mit Zweirichtungsverkehr“, Innerorts: „Breite über 4 m (Rad) und soweit erforderlich über 2,50 m (Fuß)“, es wird hier auf die Musterlösung RSV-1 und RSV 2 verwiesen.

Hier die Abbildung aus den Qualitätsstandards des Verkehrsministeriums:

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Ich möchte ehrlich sein: Es gibt in den Qualitätsrichtlinien noch den „faulen Kompromiss“. In Abschnitt 3.1.2 – Tabelle 2, Seite 9 gibt es nämlich noch den Abschnitt: „Gemeinsame Führung von Rad- und Fußverkehr mit Zweirichtungsverkehr“. Dort heißt es aber bei „Innerorts“:

„Nur auf kurzen Strecken bei geringem Fußverkehrsaufkommen. Weniger als 25 zu Fuß Gehende in der Spitzenstunde. Breite über 5,00 m.“ Diese Qualitätseinschränkung ergibt aber keinen qualitativ guten Radschnellweg.

Stellen Sie sich mal vor bei dem Gewimmel in der Innenstadt sollen auf der Geleitsstraße über 2.000 Berufspendler:innen bis zu 20 km/h schnell fahren, und Fußgänger und Fußgängerinnen sollen dann von der Großen Marktstraße kommend die Geleitsstraße queren, um ihren Weg in die Mittelseestraße fortzusetzen. Ist da nicht auch eine Schule um die Ecke, die dann bei Schulschluss alles verstopft? „Nein, keine Schule.“ „Oh, doch.“ „Haben wir wohl übersehen.“ Fazit: Radschnellwege passen also nicht, wenn sie an Fußgängerzonen oder Schulen vorbeiführen.

Man kann also zusammenfassen, dass die Anforderungen an einen Radschnellweg (RSW), wie sie in Tabelle 3.1.2 (Seite 9 f.) gefasst sind, nicht im erweiterten Innenstadtbereich nördlich der Bahntrasse realisierbar sind. Sollte man jedoch bei dieser absurden Planung bleiben, zeigt das, dass man die unterschiedlichen Qualitäten des Radwegebaus (Raddirektverbindung und Radschnellweg) nicht verstanden hat und lieber nur eine schlechtere Qualität realisieren möchte.

Ich möchte jetzt an die Ausgangsfrage der sinnvollen und zweckmäßige Ausgabe von öffentlichen Geldern erinnern. Übrigens sieht die IHK Offenbach das genauso. Im Heft der IHK (Ausgabe 11-12 / 2021, Seite 8) können Sie das nachlesen (PDF-Link zum Download). Danke für den guten Artikel!

Diese Äußerung hier ist auch eine Aufforderung an alle, die zu Fuß unterwegs sind: Tretet ein für euer Recht, die Innenstadt zu Fuß nutzen zu dürfen! Tut euch zusammen und kämpft dafür, dass kein Radschnellweg eure Flaniermeilen kreuzt und ihr euch beim Einkaufen unwohl fühlt!

Zum Schluss möchte ich mich auch noch zu Alternativen, die oft in Social-Media-Seiten im Netz und in den Offenbacher Facebook-Gruppen geäußert werden, äußern. „Warum baut man denn nicht den Main-Radweg aus? Der ist doch am kürzesten!“ Eben wegen all der hier genannten Gründe und weil das Mainufer eine parkähnliche Anlage bleiben soll, in der wir unsere Spaziergänge genießen wollen, in der wir Basketball spielen, grillen und chillen wollen, in der Kinder auf Kinderspielplätzen spielen und ab und an mal auf den Radweg laufen, weil sie einem Ball hinterher schauen. Genauso wie wir keine Autobahn durch die Berliner Straße wollen, können wir auch keinen Radschnellweg durch eine parkähnliche Anlage am Mainufer haben wollen.

Wir sollten also, in allen politischen Fraktionen der Offenbacher Stadtverordnetenversammlung, nochmal diskutieren, ob wir der Machbarkeitsstudie blind folgen werden. Oder wollen wir einen Radschnellweg mit langsamen Abschnitten im erweiterten Innenstadtbereich mit Konflikten mit zu Fuß Gehenden? Oder lieber doch einen guten Radschnellweg, der qualitativ hochwertig ist und den Standards des Landes Hessen entspricht?

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